Ich kann nicht von allen gemocht werden – Mein Weg zur Unbequemlichkeit

Jessica Könnecke

Es ist Samstag. Ich sitze an unserem Esstisch. Draußen ist es grau und nasskalt. Um dieser düsteren grauen Kälte etwas entgegenzusetzen, zünde ich eine Kerze an und beobachte die helle Flamme. Für einen Moment fühle ich eine Ruhe. Eine Ruhe, die ich in den letzten Tagen eher selten gespürt habe. Nebenbei höre das monotone Geräusch des Geschirrspülers. Ich stehe auf, mache mir einen zweiten Kaffee und setze mich wieder an meinen Laptop. Am Montag darf ich vor angehenden Gründer*innen sprechen. In meiner alten Hochschule hier in Nürnberg, an der ich 2016 meinen Bachelor gemacht habe. Es wird eine eher kleine Runde werden und ich darf dafür gerne eine kurze Präsentation vorbereiten. An dieser sitze ich nun und überlege, was ich den Studierenden und angehenden Gründer*innen mitgeben möchte. Dass der Aufbau des eigenen Unternehmens sehr viel anstrengender war, als ich mir das jemals vorstellen konnte? Dass die Erfolgsmomente, in denen ich spürte, dass Menschen meine Idee gut finden, so viel Dopamin in meinen Körper ausschütteten, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut bekam? Oder dass ich nach knapp vier Jahren Startup Hustle und Corona nur noch eins wollte: weg.

Ich hatte viele Momente in den letzten Monaten, in denen ich nichts mehr vom Gründen wissen wollte. Allein der Gedanke daran, ließ in mir ein Unwohlsein aufkommen. Ein unbequemes Gefühl. Deshalb wusste ich auch lange Zeit nicht, wie es beruflich für mich weitergehen sollte. Klar, ich hatte das Coaching. Hier wusste ich, dass mir die Tätigkeit als Coachin Freude bringt und ich gerne mit Menschen in der Rolle als Coachin zusammenarbeite. Aber selbst noch einmal gründen? Mit einem Team, Führungsaufgaben und sehr viel Verantwortung? No way.

Als ich dann vor einer Woche in Berlin war, bin ich durch Zufall auf das Buch „Unbequem“ von Vera Strauch gestoßen. Darin beschreibt die Autorin wie wir unbequem sein können und dadurch nachhaltig Veränderung für uns und unsere Umwelt bewirken können. Unbequem sein – ich merke richtig, wie sich bei diesem Gedanken mein Magen ein Stückchen zusammenzieht. Ich mag es gar nicht, wenn ich das Gefühl bekomme, dass ich es nicht unter Kontrolle habe, wie mich andere Menschen wahrnehmen, oder schlimmer noch: mein Tun und mich als Person kritisieren. Strauch beschreibt das in ihrem Buch folgendermaßen: „Ich hielt mich damit auf, es allen recht machen zu wollen.“ Wow. Mir kommen die Tränen. Zum ersten Mal kann ich das, was ich die letzten 1,5 Jahre gefühlt hatte, in Worte fassen, weil es wahr ist: ich wollte es allen immer und überall recht machen. Meinem Team, meiner Community auf Instagram, meinen Kooperationspartner*innen. Wer dabei auf der Strecke blieb, war ich selbst. Mein persönliches Bild als Gründerin bestand daraus, nach außen hin alles richtig zu machen. Das ist gleich doppelt komisch. Zum einen, weil mein Unternehmenskonzept das Unperfekte in den Vordergrund stellt. Zum anderen, weil ich vorher noch nie ein Unternehmen gegründet habe, geschweige denn ein Team geführt habe. Meine Aufgabe bestand doch eigentlich darin, Fehler zu machen, aus diesen zu lernen und beim nächsten Mal anders zu handeln. Fürs Unternehmerin sein gibt es keine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Die Anleitung besteht darin, ins Handeln zu kommen, Dinge aktiv anzugehen, um dann zu schauen, was gut und was weniger gut geklappt hat. Diese Fähigkeit bekommen wir aber leider nie beigebracht. In der Schule und Uni geht es nur darum, möglichst gute Noten zu schreiben und besser als die anderen zu sein. Dass es im Leben dazugehört, dass wir Dinge ausprobieren müssen, dabei vielleicht auch mal hinfallen und das alles natürlich nicht isoliert, sondern im Kontakt mit anderen Menschen passiert, das wollen und können die wenigsten Menschen verstehen. Was ich also tat, war, mich für meine Fehler zu schämen. Scham ist ein sehr unschönes Gefühl: „Scham vermittelt uns, dass etwas an uns nicht stimme und wir deshalb allein sein. Sie macht uns einsam, während das, was wir am dringendsten brauchen, um mit schwierigen Situationen umzugehen, Gemeinschaft ist.“ (Strauch, 2022, S.75). Da war ich nun: scheinbar erfolgreiche Gründerin im Außen, zutiefst verunsichert im Innen. Ich hatte die Erwartungshaltung von außen so tief internalisiert, dass ich wie gelähmt war. Dabei bin ich doch angetreten, um die Welt zu verändern. Oder zumindest meinen Beitrag für einen lebenswertere Zukunft zu leisten. Wie sollte ich das schaffen, wenn ich all meine Kraft nur darauf verwende, dass ich von anderen Menschen gemocht werde?

Für mich lag der erste Schritt darin, mir meine Bedürfnisse anzuschauen. Geholfen hat mir dabei die GFK (Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg). Was ist herausgefunden habe, war, dass ich durch meine Anpassung, meine Unfähigkeit, mein eigenes Nicht-perfekt-Sein zu akzeptieren, meine Bedürfnisse nach Liebe und Zugehörigkeit befriedigen wollte. Der zweite Schritt lag darin, mir bewusst zu machen, dass das Vermeiden von negativen Gefühlen kontraproduktiv ist. Im Gegenteil, dass es wichtig ist, unbequemen Gefühlen nicht auszuweichen, sondern einen Umgang damit zu finden, indem wir uns mit ihnen beschäftigen und dadurch auch Verletzlichkeit zulassen (Strauch, 2022, S.88). Unser Leben verläuft nicht geradlinig und hat immer Höhen und Tiefen. Es wird immer schwierige Momente geben, die wir akzeptieren müssen. Dieser Weg ist nicht einfach und erfordert von uns allen am Ende jahrelange Übung. Und ich bin gerade selbst noch mittendrin.

Meine Präsentation werde ich übrigens mit dem Zitat von Vera Strauch beginnen: „Ich hielt mich damit auf, es allen recht machen zu wollen.“  Und zum Thema Gründen finde ich gerade auch wieder zurück. Nicht in der Rolle als Gründerin, dafür in der Rolle als Mentorin und Investorin. 

 

Eine Meinung zu “Ich kann nicht von allen gemocht werden – Mein Weg zur Unbequemlichkeit

  1. Klaus K. sagt:

    Liebe Jessi, Dein Statement habe nicht nur gern gelesen, sondern es hat mir auch einen ergänzenden Einblick in eine Enkelin gegeben, die ich (die WIR) sehr lieben und schätzen!!! Für Deinen „neuen Weg“ viel Glück und Gesundheit von der gesamten Familie,
    Dein Opa
    Klaus

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